top of page

über
lebensnotwendiges

Home: Welcome
Suche
  • Autorenbildfraupunkteschreibt

Nichts ist mehr

Vor ein paar Jahren war ich im Hinterland des bilderbuchschönen Bodensees unterwegs. Mein Benzin wurde knapp und so war ich einigermaßen froh, als ich mit den letzten Tropfen im Tank auf ein Ortsschild zurollte. Das Dorf wirkte menschenverlassen. Ich hielt an und spazierte die Hauptstraße entlang, die grau und kalt vor sich hin schwieg. Ein Reklameschild erregte meine Aufmerksamkeit. Aha, also doch. Ein Café oder kleiner Laden. Dort könnte ich die nächste Tankstelle erfragen. Als ich davor stand, war mir klar: Hier gibt es nichts mehr. Keinen Kaffee zum Wachwerden, kein Benzin zum Weiterkommen.


In jeder Krise gibt es diesen Nullpunkt. Die absolute Leere. Ein Vakuum. Die Abwesenheit von Gedanken und Gefühlen. Ein Ort, an dem es keine Antworten gibt, weil keine Fragen mehr gestellt werden. Es könnte Erleichterung sein. Aber dieser Punkt liegt hinter der Hoffnung. Weit, weit entfernt von irgendetwas, das nach Leben schmeckt. Bei mir kam er ganz leise. Schlich sich ein mit den Schmerzen und blieb, als diese wieder gingen. Er nistete sich ein und breitete sich langsam aus. Zu einem unendlichen Nichts, in das alles fällt. Wie ein schwarzes Loch, das Licht verschluckt, Wörter einsaugt, bevor sie gedacht und Tränen austrocknet, bevor sie geweint werden. Ein Stoffladen ohne Stoff. Weil alles, aus dem in der Not noch ein Fetzen Hoffnung gemacht werden könnte, längst ausverkauft ist. Es gab keine Kleider, die diese Nacktheit verhüllen konnten. Es gab nichts.


Naja, ich hatte zumindest dieses Gefühl, dass es nichts mehr gab. Dabei habe ich eine essentiell wichtige Erfahrung gemacht: Ich spürte Armut. Eine Verzweiflung, die sich nicht einmal mehr Zweifel leisten konnte. Zu müde für den Augenblick und zu schwach für die Zukunft. Meine Armut war diese alte, verlassene Einsamkeit der Menschheit.


Die Entstehungsgeschichte unserer Sprache erinnert noch daran: Das Wort arm geht auf die germanische Wurzel*arƀma, zurück was so viel bedeutet wie vereinsamt, verlassen. Interessanterweise gibt es parallel im Griechischen ein sehr ähnliches Wort erḗmos (ἐρῆμος) für einsam, verlassen.


Nichts ist mehr als man denkt. Im meiner bayerischen Muttersprache gibt es das Phänomen der doppelten und manchmal sogar dreifachen Verneinung „Nix hods no nia ned gebn.“ (Nichts hat es niemals nicht gegeben.) Ich höre diese Worte heute noch aus dem Mund meiner Dalai Mama – einer sehr weisen, bayerischen Frau, die mir damit deutlich zu verstehen gab, was die Physiker auch schon sagten. Es dreht sich alles um den individuellen Ereignishorizont. Und darin gibt es einfach manchmal nichts zu tun oder zu lassen. Es gibt nur ein Durchhalten. Ein Aushalten der Einsamkeit und ihrer Stille. Genau das war die entscheidende Not-Wende.

In mein einsames Treiben schlich sich etwas anderes. Zuerst sah ich es in der blauen Stunde. Es war in den Wolken, die dem Sonnenuntergang entgegen zogen. Von meinem Krankenbett aus, konnte ich über den ziegelroten Dächern diesen kleinen Flecken Himmel beobachten. Wie er sich fortwährend veränderte. Etwas, das ich gar nicht kannte, legte sich zu mir ins Bett. Ein sinnlicher, weicher Frieden. Er war einfach da. Ich war einfach da. Wir freundeten uns an. Nun waren wir schon zu zweit. Der stille Frieden und ich. Die Sonne blinzelte noch einmal kurz ins Zimmer und verschwand dann. Ich wusste, sie würde wieder kommen.

In der Yoga- und Meditationspraxis gehört das Loslassen zu den elementarsten Übungen. Es gibt unzählige Methoden, die darauf zielen, wenigstens für einen Augenblick, ein paar Minuten lang, einmal alles aufzugeben, woran wir uns klammern. Dieser Moment führt uns zu einer der kostbarsten Ressourcen, die jeder Mensch in sich trägt. Was das ist, verrate ich euch im nächsten Blog. Bis dahin lade ich dich zu einer kleinen Reise in die Welt der Meditation ein.



75 Ansichten7 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Auferstehung

Endlich leben

Journaling

Kaffee, Küsse, Kinder? 
Was ist für dich lebensnotwendig?

Schreib mir! 
bottom of page