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Endlich leben

Aktualisiert: 27. März 2019

Bis vor kurzem habe ich nur ein paar Kilometer hinter der Ewigkeit gewohnt. Damals, vor über zehn Jahren, als ich zum ersten Mal an diesem Ortsschild vorbeifuhr, musste ich laut lachen: Man könnte Beweisreisen für Agnostiker anbieten. Ich bremste, parkte mein Auto am Straßenrand und schaute mir diesen alten Sehnsuchtsort an. Ein kleiner Weiler, kaum mehr als ein Bauernhof. Ein paar Hühner schlichen ums Haus, eine Katze lag faul in der Einfahrt. Ein unspektakuläres Friedensangebot, eingenestelt in eine malerische Landschaft mit Kuhglocken-Idylle wie aus einem schmalzigen Heimatfilm der Nachkriegsjahre. Es waren auch meine Nachkriegsjahre, die ich hier verbrachte, ein paar Kilometer hinter der Ewigkeit.

Nur ein Traum

Während besonders intensiver Schmerzphasen hatte ich immer den gleichen Morphin-Traum: Ich wache in einer Stadt auf, die in Schutt und Asche liegt. Die Sonne brennt unbarmherzig auf die Steinhaufen und Trümmer, aus denen ich mich heraus grabe. Ich versuche aufzustehen, aber meine Beine gehorchen mir nicht. Also krieche ich über diese endlose Wüste der Zerstörung. So gerne würde ich laut rufen Ist da noch wer? Lebt noch irgendjemand? Aber ich kann nicht, weil mein Mund so trocken ist, dass die Haut aufreißt. Ich blute aus dem Mund und lecke das Blut, das sich mit dreckigem Schweiß vermischt. Ich höre Sirenengeheul und wache nochmals auf. Jetzt liege in einem Krankenbett. Ein lautes schrilles Geräusch durchdringt das weiße Zimmer. Mein Überwachungsmonitor schlägt Alarm. Ich versuche, der herbei eilenden Krankenschwester zu erklären, dass es nur ein Traum ist. Als ich die Lippen bewegen will, schmecke ich Eisen und Staub. Blut sickert aus meinen Mundwinkeln.


Zeitstillstand Ein paar Monate. Was ist das schon? Eine Ewigkeit. Weil ich nicht absehen konnte, wie lange mich diese Schmerzen noch quälen würden. Niemand wusste es. Ich blickte in besorgte Gesichter, die mir Erlösung wünschten. Mein Leben hatte einen Zeitstillstand erlitten.

Freddy Mercury und der Highlander

Who wants to live forever? schmetterte Freddy Mercury in den 80ern stellvertretend für einen unsterblichen Highlander. Alter! Würden wir heute zu ihm sagen. Na ja, er hatte immerhin über 400 Jahrhunderte auf dem Buckel. Kein Wunder lagen die Nerven blank und er wurde in New York durch kriegerischen Schwert-Einsatz verhaltensauffällig. Mal ehrlich: Wer will denn schon ewig ums überleben kämpfen?

Endlich leben

In der Palliativmedizin geht es darum - frei nach Cicely Saunders, der Mutter der Hospizbewegung - dem Tag mehr Leben zu schenken und nicht dem Leben mehr Tage. Qualität vor Quantität sozusagen. Für mich ist das längst kein Hospiz-Gedanke mehr, sondern das Mantra einer sinnsuchenden Generation von Post-Burn-Out-traumatisierten Menschen, die keine Krankheit oder sonst irgendeinen Wake-Up-Call brauchen, um zu verstehen, dass das Leben immer nur JETZT in diesem einen Augenblick stattfindet.

Entscheide dich für die Einfachheit Schluss mit kräftezehrenden Egotripps, Selbstoptimierungsmaßnahmen und nervigem Jugendwahn. Die einzige Alternative zum Älterwerden ist jung sterben. Basta. Entscheide dich für die Einfachheit forderte mich neulich meine Yogalehrerin auf. Einatmen. Ausatmen. Auf der Stelle tanzen, Nase putzen, ein Lied singen, dem Nachbarn überm Balkon zuwinken, der Kassiererin ein Lächeln schenken und „endlich leben“.

Ewigkeit ist keine Zeitmessung. Ewigkeit ist ein Zustand. Ich erreiche ihn am besten, wenn ich gerade nicht daran denke und einfach mal mache.


Du kannst in der Ewigkeit ankommen oder sie links liegen lassen. Es ist ihr egal.

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