Was passiert, wenn der eigene Körper den Wehrdienst verweigert? Wenn das Abwehrsystem die Waffen niederlegt und das Immunsystem desertiert?
Keine Angst, das wird keine onkologische Lehrstunde. Ich will auch keinen Kriegsschauplatz eröffnen. Mir dreht es schon beim Gedanken an Kriegsfilme und Massenmord-Unterhaltung den Magen um. Ich bin auch kein Fan von Ballerspielen oder Gewaltorgien in welcher Form auch immer. Trotzdem geht es heute um Krieg. Oder besser: Um die Kriegsmetapher. Und noch spezieller um ihre Verwendung im Zusammenhang mit Krebserkrankungen. Fast wollte ich sagen: Ich habe mich immer dagegen gewehrt, Krankheit als Krieg zu betrachten. Einerseits hat mich wohl gerade der Zusammenbruch meiner Abwehrkräfte auch sprachlich sensibilisiert, andererseits war das Letzte, was ich während meiner Krebserkrankung - zwischen Schmerzattacken, Erschöpfung und Normalitätsverlust - brauchen konnte, die Vorstellung, dass mein eigener Körper zum Kriegsgebiet erklärt wird. Wie sollte ich, wenn ich meine kranken Anteile als Feinde betrachte, den dringend notwendigen erholsamen Frieden finden?
Im Sinne einer gewaltfreien Kommunikation – wie sie der amerikanische Psychologie Marshall B. Rosenberg entwickelte, plädiere ich für einen wertschätzenden Sprachgebrauch - auch und gerade in der Krebs-Szene und bitte darum, endlich die Betroffenen abzuschaffen. Für mich klingt das immer sehr negativ, irgendwie nach verbrannter Erde, auf der nichts mehr wächst. Wie wäre es stattdessen mit Menschen mit Krebs-Erfahrung.?So wird anerkannt, dass die Erkrankung ein Prozess ist. Meinetwegen auch eine Reise. Jedenfalls etwas, das neue Sichtweisen und auch eine gewisse Kompetenz im Leben – und ja, auch im Sterben – schenkt.
Eins geht jedenfalls gar nicht: Todesanzeigen mit Sie/er hat den Kampf gegen Krebs verloren. Was für ein geschwurbelter Schwachsinn! Entschuldigung, aber haben etwa Patienten, die an Krebs sterben, weniger gut gekämpft? Waren sie zu schwach? Ich habe den Tod meiner Krebs-Freundinnen und Freunde anders erlebt: Sie haben ihr Leben geliebt und haben sich aus dieser Liebe heraus mit einer Größe und Kraft aus ihrem Körper heraus entwickelt, das alles Gejammer um irgendwelche Zipperlein in den Schatten stellt: Am Ende noch so viel Versöhnung und Kraft zu haben, dass alle darin Trost finden. So eine wunderbare Entwicklung als Niederlage zu bezeichnen, halte ich für grotesk. Allen, die mit so einer verunglückten Todesanzeige verabschiedet wurden, habe ich dieses Gedicht gewidmet:
sie waren könige
als sie gingen
hingen sie
die haare
an die wand
und gingen weiter
nackt
durch den wald
an den rand
ihrer welt wo alles fehlt
was alle kennen
und alles beginnt
was uns trennt
Wir müssen sicher nicht in Versform kommunizieren, aber im öffentlichen Austausch sollten wir ruhig auf unsere Wortwahl achten und nicht immer nachbrabbeln, was alle sagen. Für meinen Geschmack darf gerne mit Kreativität und Humor abgeschmeckt werden. Beides halte ich für lebensnotwendig. Habt ihr andere Ideen und Schreibimpulse wie wir Sprache wertschätzend weiterentwickeln können? Bild-Anmerkung: Mein Ersatzhaar von damals ist längst Bestandteil einer kleinen Raum-Installation: Die Perücke am G’weih ist mein persönliches Memento mori und spielt gleichzeitig mit der Absurdität der Kriegsmetaphorik. (Vgl auch Die Brücke am Kwai )
Wie eindrücklich und erschütternd so eine Meinung ist, wenn sie einen an der eigenen Nase packt. Letztendlich gelten die Ansätze für jeden einzelnen Menschen - "kranke" Anteile bleiben nicht aus im Leben und diese anzunehmen und zu betrachten, wie es einem GUT damit geht - die Möglichkeit zu haben, dass es einem gut gehen darf, egal wieviele dieser Anteile vorhanden sind - ist ergreifend revolutionär.
Ich finde, Deine Texte, Bilder und Kunstinstallationen sollten in einem Museum zu besichtigen sein. Du überrascht mich immer wieder! Das Gedicht berührt mich sehr.
Danke fuer einen mal wieder durchaus gelungenen Beitrag. Und danke, dass du mich wachruettelst und mir die groteske Wortfindung unter die Nase reibst, die ich schon so viele Male ueberlesen habe, ohne mir ernsthaft die Fragen zu stellen, die du stellst.
Liebe Frau punkte!
ich wollte dir sagen, wie gerne ich mich auf deinem Blog herumtreibe. Dein Gesamtkonzept geht tief und ist ebenso erheiternd. Besonders bin ich Fan von metaphorischer Sprache, die du so geschickt in deine Artikel webst und ihnen damit eine neue Ebene zum Entdecken gibst. Apropos entdecken: Eine tolle Idee diesen Blog als Reisetagebuch der Entdeckungsreise zu deiner eigenen Kraft zu nutzen. Was für ein tolles Reiseziel!
Den Körper nicht zum Kriegsgebiet zu erklären, spricht mir gerade aus vollem Herzen. Mein Jahr startete mit einer Diagnose. Ich machte mir Sorgen, seltsamerweise jedoch nicht wegen der Krankheit, mehr wegen diesem Kriegsgebiet in den sich mein Körper verwandelt haben soll. Ist er nicht meine Freundin? Und ist das eigene Gefühl…
Hey Claudia,
vielen Dank für diese mutigen Zeilen. Neben dem Gedicht blieb bei mir vor allem dieser Satz hängen: "Wie sollte ich, wenn ich meine kranken Anteile als Feinde betrachte, den dringend notwendigen erholsamen Frieden finden?" Er erinnert mich in unserer immer schneller werdenden Zeit, die sich immer mehr von allem natürlichen entfernt, nie den Kontakt zum eigenen Körper zu verlieren. Ich muss auf meinen Körper hören, wenn er mir sagt: "Ich bin müde. Lass uns schlafen gehen" oder "Ich möchte raus, vergiss deine blöde ToDo-Liste und lass uns eine Runde spazieren gehen." Ganz im Sinne der von dir erwähnten gewaltfreien Kommunikation danke ich meinem Körper sehr oft, wenn er mich durch einen schönen Tag getragen oder mir geholfen hat…